Mittwoch, 20. Februar 2013

Indien / Chennai Tagebucheintrag


Ich befinde mich zurzeit in Chennai um mein Bike und mich selber nach Kuala Lumpur in Malaysia zu befördern. Der Landweg durch Myanmar ist geschlossen.

Zwischen den Pflichten, die sich ergeben, wenn man ein Moped von einem Land in ein anderes befördern möchte, fand ich die Zeit ein paar Zeilen in mein Reisetagebuch zu schreiben.

Diese möchte ich nun teilen, da ich denke, sie geben ein gutes Bild von der Umgebung, in der ich mich zurzeit befinde.

Eintrag:

Während ich heute das Privileg habe in Eriks Wohnung auszuschlafen, den Tag langsam zu beginnen, Hörspiele zu hören, die sich auf unverständliche und komplizierte Art und Weise mit dem Leben der Menschen beschäftigen, während ich ein Gebet von Paulo Coelho lese und in einem Raum verweile, der schattig ist und unter dessen Decke sich zwei Ventilatoren drehen, während dessen ist vor der Haustür Indien.

Direkt gegenüber von Eriks Wohnung arbeiten Menschen in einem Rohbau. Männer und Frauen.
Die Männer mauern, bohren Löcher oder messen Dinge aus.
Die Frauen schleppen Sand, Wasser oder Ziegelsteine.

Hupen von vorbeifahrenden Autos, Rikschas oder Mopeds mischen sich in die Geräusche der Arbeiten und der schreienden Kinder im Nachbarhaus. Vereinzelt bellen Hunde.

Manchmal kämpfen ganze Rudel unter dem Fenster neben meinem Bett. Vor allem nachts. Sie fletschen die Zähne, knurren, bellen, kläffen und heulen laut auf, wenn sie verwundet werden.
Doch tagsüber ist es meist zu heiß und sie dösen im Schatten, wie überhaupt jeder, der es irgendwie einrichten kann, im Schatten döst.

Doch nicht die Menschen, die gegenüber Steine schleppen. Und das bei Temperaturen, die mich selbst in Eriks Wohnung schwitzen lassen, während ich diese Zeilen schreibe.
Schwärme von schwarzen Raben fliegen vor dem Fenster neben meinem Bett vorbei, durchwühlen den allgegenwärtigen Müll und veranstalten ein Getöse, wie die Hunde nur Nachtzeit.

Verlässt man die Wohnung und geht das kleine Gässchen hinunter, vorbei an dem Reisfeld, dass wie deplatziert wirkt zwischen all den Häusern und Rohbauten, in denen Arbeiter schwitzen, kommt man an einem kleinen Stand vorbei.

Über einem wackeligen Holztisch spannt sich eine zerrissene Bauplane, die irgendwann einmal Blau gewesen sein mochte. Unter ihr liegen auf dem Tisch verschiedenste Kleidungsstücke, fein säuberlich aufeinander gestapelt. Vor dem Tisch liegen Häufchen von Holzkohle – frische und verbrannte. Hinter dem Tisch befindet sich eine Mauer über die exotische Schlingpflanzen wachsen. Verwitterte und neue politische Parolen werden halb von ihnen überwuchert. Eine junge Kuh – allgegenwärtig auf Indiens Straßen – erfreut sich an dem Grün, das wohl eine willkommene Abwechslung zum sonst üblichen Müll-Mahl darstellt. Gemächlich kauend hebt sie ihren Schwanz und ein dicker Fladen entschwindet ihrem Körper. Direkt neben dem Tisch schlägt er auf.

Hinter dem Tisch mit den sauber gestapelten Kleidungsstücken steht ein Mann. Mittelgroß, schwarze Haare, schwarzen Schnauzbart, sehr dunkle Haut, Wickelrock – eine Beschreibung, die auf fast alle Inder zutrifft. In seiner Hand das mittelalterliche Holzkohlebügeleisen, dass irgendwo anders archaisch und antik gewirkt hätte.
Er lächelt mir zu. Er kennt mich mittlerweile. Doch ich spüre, dass sein Lächeln nicht echt ist. Es ist das Lächeln eines Dieners, der seinen Weißen Herrn anlächelt – weil er muss.
 Dahinter verbirgt sich Trauer, Wut und Abneigung gegenüber den Weißen, die in diesem Land leben können, wie Könige. Die sich sogar klimatisierte Taxifahrten und Einkäufe in den großen Shopping-Malls leisten können.

Lässt man den Stand hinter sich, tritt man bald auf die „Hauptstraße“ von Mugallivakkam.
Neben der Straße: Müllberge. Offene Kanalisationen, in denen Schwarz-Milchige Bäche ölig dahin fließen. Ein Friedhof auf einem unbebautem Stück Land, auf dem die Gräber einfach, unkoordiniert und irgendwie „illegal“ anmuten. Dazwischen ein Trampelpfad, eine Kuh und Müll.

Der nächste Stand: Nicht unähnlich dem ersten, doch mit einem großen Schild auf dem Fische abgebildet sind und die Aufschrift erklärt: „Good fish available here!“
Ich komme zu dem Schluss, dass dies eine waghalsige Behauptung ist, während ich mir die ungekühlten Kadaver auf der verwitterten Holzplatte betrachte. Gleichzeitig ein Hort von  Fliegenschwärmen.

Die Hitze ist unerträglich und mein T-Shirt bereits nass geschwitzt.
Ich gehe weiter. Der Verkehr nimmt zu, was bedeutet, dass man sehr darauf achten muss, wohin man tritt. Leicht könnte man von einem Fahrzeug erwischt werden oder sicher Länge nach hinlegen, wenn man am unebenen Straßenrand stolpert. Glücklicherweise hupt jedes Fahrzeug, dass sich mir nähert um anzuzeigen: „Hier komme ich, gib acht, dass du nicht umgefahren wirst!“
Glücklicherweise wird meistens gehupt, wenn sich das Gefährt genau auf Ohrenhöhe befindet.

Ein fahrender Händler auf einem umgebauten Transport Fahrrad, fährt schreiend an mir vorbei.
Obst-, Schuh-, Bongo- und Kitschverkäufer rufen zu mir herüber: „Yes, Sir! Good stuff!!“
Ich ignoriere sie. Einmal Augenkontakt hergestellt, wird man sie schlecht wieder los…

Ich glaube ich benötige eine Rast und gehe so lange weiter, bis ich eine Teestube gefunden habe.
Ich setze mich erschöpft, von Hitze, Staub, Gestank und Lärm, bestelle Tee und erhole mich langsam, während ich mir das bunte Gewusel vor dem Laden anschaue. Der Tee kommt sofort. Indischer Tee wird mit Milch, anstatt mit Wasser gekocht, woran ich mich erst gewöhnen musste. Doch während ich so da sitze und träume, ist diese stärkende Mischung aus Milch, Tee, Ingwer und Zucker genau das richtige.

Gewöhnungsbedürftig, wie Indien selbst. Süß und interessant, wenn man die Zeit hat zu verweilen.

 

1 Kommentar:

  1. hey!
    for how long do you have traveled?
    i saw u at kuantan, pahang, malaysia when you stop at traiffic light!

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